Es war einmal ein Gottesmann mit Namen Jesus. Er verkündete den Bedrängten seines Landes die frohe Botschaft von der Errichtung einer revolutionären neuen Ordnung für die Menschen und die menschliche Gesellschaft. Er sprach davon unter dem Begriff der Errichtung des Gottesreiches im Einzelmenschen und in der menschlichen Gemeinschaft. Er verkündete diese Botschaft ebenso in seiner persönlichen Lebensund Verhaltensweise wie in seinen Gesprächen und tat, was er verkündete. Er war dabei so konsequent und beharrlich, daß er lieber starb, als sein Engagement des Gehorsams und der Offenheit für den Willen Gottes und seinen liebenden Dienst sowie seine Verantwortlichkeit für den Mitmenschen aufzugeben.
Jesus hat uns nicht allein Erkenntnis, eine Konzeption und Wahrheit vermittelt, er lehrte und zeigte uns nicht allein eine Lebensform, die zur vollen Befreiung, Reifung und Selbstverwirklichung als Gotteskinder führt — er teilte uns sogar seinen eigenen Geist mit und beseelte unser menschliches Bemühen, so daß es uns zu einer neuen Qualität und Intensität des Lebens führte.
Während seines Lebens gewannen seine Persönlichkeit mit ihrer ungeheuren Anziehungskraft, seine zugkräftige Lebensweise sowie seine klare starke Lehre Jesus viele Freunde und Bewunderer (wie auch Feinde!). Nach und nach hat er eine Anzahl Schüler um sich gesammelt. Er schenkte ihnen eine große Aufmerksamkeit und einen hohen Grad von lnteresse und forderte sie auf, sich so stark auf ihn und seine Lehre einzulassen, daß sie Gott gestatteten, in ihrem Leben zu herrschen und daß sie mit anderen teilten, was sie von ihm empfangen hatten. Tatsächlich legte er den Grund für eine völlige Neustrukturierung und Erneuerung der menschlichen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. In der Folgezeit wurden dann die Implikationen seiner Lehre nach und nach erkannt und gewürdigt.
In der Heimat Jesu gab es eine Gruppe von Glaubensbrüdern, die sich dazu getrieben fühlten, ein rubiges, friedvolles Gemeinschaftsleben am Rand der Wüste zu führen. Obwohl sie einer Tradition entstammten, für die Zeugung von Nachkommen und Familie einen hohen Wert bedeuteten, waren einige unter ihnen, die ihre Erfüllung und ihren schöpferischen Selbstausdruck in einer besonderen Überantwortung an Gott und den Dienst für die Gemeinschaft erblickten. Möglicherweise lagen ihre Motive teilweise in persönlichen Eigenarten, in dem Druck ihrer unruhigen Zeit ebensosehr wie in den eindringlichen Forderungen des Herrn selbst. Wet kann das sagen — sei es in dieser Situation oder in ähnlichen Situationen dieser Art?
In der Kultur des Alten Orients haben sich manche Traditionen entwickelt, die für die betreffenden Zeiten und Orte eigentümlich und speziell waren. So wurde beispielsweise in verschiedenen Gesellschaften die Kastration von Männern aus bestimmten Gründen anerkannt, und die Eunuchen hatten spezielle und eigentümliche Rollen und Funktionen. Eine spezielle praktische Aufgabe für sie war die der Haremsaufsicht. Für einen auf seine vielen Frauen eifersüchtigen Mann war ein zuverlässiger Eunuch ein wertvoller Helfer. Nicht selten hatten sie auch hervorragende Stellungen in Verwaltung und Heer einzelner Regierungen. Für einen König, der auf seine Autorität und die Erhaltung seines Thrones besonders bedacht war, bedeutete ein Mensch, der persönlich keinerlei dynastische Ambitionen haben konnte, einen höchst wertvollen Mitarbeiter. So ergab sich im Orient die seltsame Idee, daß Männer Eunuchen wurden, um ihrem Land, ihrem König au dienen.
Jesus selbst war natürlich weder Hofbeamter noch Eunuch. Tatsache ist indessen, daß er unverheiratet war, obwohl er zweifellos ein Mensch war, der liebte und tief geliebt wurde. Er hat einmal von dem Ideal von Menschen gesprochen, die sich dem Dienst des Gottesreiches so widmeten, als seien sie Eunuchen, und sein eigenes Leben machte eine solche Art von Hochherzigkeit und Zielbewußtheit anschaulich.
Jesu Jünger hatten zweifellos Verständnis für ein Leben, das so tief in Gott verwurzelt war, daß es weder Zeit noch Neigung fand, zu heiraten oder eine Familie zu gründen. Sie waren zu diesem Ideal nicht allein durch Jesu Lehre und persönliches Beispiel angeregt, sondern ihren überkommenen jüdischen und orientalischen Traditionen war es in einem gewissen Umfang ebenfalls nicht fremd. Ein weiterer Einfiuß auf ihre Haltung Ehe und Familie gegenüber kam von einer besonderen abwegigen Haltung der Sexualität gegenüber. Obwohl die hebräische Traditon vernünftig war und von einem sehr ganzheitlichen Menschenbild ausging, wirkte in der griechisch-römischen Welt und Kultur, innerhalb derer sich die Zahl der Anhänger Jesu rasch vermehrte, zutiefst ein philosophisches Menschenbild, das die geistige Qualität des menschlichen Wesens überbetonte und auf der anderen Seite nach und nach seine Körperlichkeit abwertete. So gab es idealistisch denkende Menschen, die dahin tendierten, die Sexualität ebenso zu verachten, wie sie — seltsamerweise — aus ganz ähnlichen Erwägungen von anderen in einer verzerrten oder allzu freizügigen Form gesehen und gewertet wurde.
Auf jeden Fall begannen sich mit den Jahren gewisse eigentümliche Lebensformen unter den Anhängern Jesu zu entwickeln, die eine Verpflichtung zum zölibatären Leben, zum Leben in Einsamkeit einschlossen. Ob aus einer Haltung der Weltflucht, einer psychischen Unfähigkeit in der städtischen Gesellschaft ihrer Zeit zu leben, einem buchstäblichen Verständnis der evangelischen Räte oder einem tiefen Sehnen nach ununterbrochener Hingewendetheit zu Gott, seinen Plänen und seiner Schöpfung — es gab Menschen, die in die Wüsten und Einöden gingen, um dort als Einsiedler zu leben.
Als sie bekannter wurden, weckten sic die Aufmerksamkeit größerer Kreise, zogen Bewunderer und Nachahmer an, und eine Zeitlang blühte und entfaltete sich dieses Modell des Einsiedlerlebens und gewann einen tiefen Einfluß auf das Gefühlsleben deter, die in einer solchen Lebensform eine innere Kraft und Gottüberantwortung erblickten, zu deren Vollzug sie selbst unfähig waren. So ergab sich seltsamerweise, daß diese Eremiten, die sich selbst in die Randbezirke der menschlichen Gesellschaft verpflanzt hatten, am Ende eine echte soziale Funktion versahen.
Mit der Zeit weitete sich diese eremitische Lebensform aus zu einer anderen, zu kleinen Bruderschaften oder Gemeinden zölibatär Lebender, die verschiedene Dinge ihres Lebens miteinander teilten und zusammenarbeiteten. Diese Entwicklung konsolidierte sich zu dem, was wir das monastische Leben nennen. Dabei waren in dieser Lebensform neue Elemente und Tendenzen am Werk. Das Monasterium — das Kloster — war zunächst eine ständige Gemeinschaft. Seine Angehörigen verstanden sich zunächst aufgrund ihrer Lebensführung und ihres Gebetslebens als im Dienste Gottes stehend. Doch verstanden sie sich auch als im Dienste der Mcnschen stehend: dadurch, daß sie ihr Zeugnis gaben von den Möglichkeiten, die die menschliche Gesellschaft im Geist besaß, und dadurch, daß sie eine Oase geistiger Neubelebung in einer zunehmend dürrer werdenden Welt schufen.
Vielleicht war es auch gerade dieses letztere Bewußtsein, das die Klöster näher an die Zentren der Zivilisation heranbrachte. Denn die Wüste ist nicht so sehr Ödland, wie die ohne Licht und Leben Christi verödete menschliche Gesellschaft. Jedenfalls wurden die Klöster bald zu Zentren der Zivilisation, und die Gemeinschaft der ehelos Lebenden entdeckte für sich mehr und mehr die Verantwortlichkeit und die Pflicht zum Dienst für die Menschen außerhalb.
Die ursprünglichen Gefolgsleute Jesu verstanden sich selbst nicht allein als seine Schüler und geistigen Erben, sondern auch als seine Mitarbeiter an seiner Sendung. Dieses Bewußtsein erwuchs nicht nur aus der ansteckenden Begeisterung für ihre eigene Lebensform, sondern auch aus dem Auftrag des Herrn selbst. Er hatte allen, namentlich aber seinen zwölf besonderen Schülern und Jüngern, aufgetragen, Zeugnis zu gebcn für seine Lehre durch Wort und Beispiel und so das Reich Gottes unter den Menschen zu verbreiten.
Eine der besonderen und auffallenden Eigentümlichkeiten des Lebens Jesu war das Dienen. Er richtete es ständig so ein, daß er im Dienst seiner Mitmenschen stand, und er stellte seinen Jüngern und Anhängern nachdrücklich das Ideal des totalen Dienens als höchste menschlichc Größe vor Augen. Seine Lehre war, daß liebender Dienst Gottes und der Menschen qualitativ wie quantitativ keine Grenzen kennt. Ja er bot das Beispiel einer knechthaften Aufmerksamkeit für die andern und eines totalen Absehens von sich selbst bis zur Hingabe seines eigenen Lebens. In einer Zeit, als man den Messias als machtvollen König sehen wollte, offenbarte Jesus ihn als leidenden Gottesknecht und rief seine Anhänger auf, selbst in der gleichen Weise zu dienen.
Dieser Sinn für den ihnen aufgetragenen Dienst und ihre Sendung bewegte und trieb seine Anhänget im tiefsten Innern. Sic stellten sich nicht allein durch ihr Lehren und Predigen unmittelbar in den Dienst für die Welt — auch ihr Leben in seiner Besonderheit und Eigenart gab Zeugnis für das Reich Gottes. Sic berieten und trösteten einander, teilten ihrcn Besitz und litten gemeinsam: Gotteslob und Dienst aneinander und am Nächsten warden geradezu die Kennzeichen schlechthin der frühchristlichen Gemeinde.
Zwar oblag allen Christen gemeinsam die Verantwortung für die Verkündigung und Verbreitung des Reiches, doch konnte nicht jeder alles tun. Jesus selbst hatte bereits einige Männer aus gesucht, die einen besonderen Anteil an der Verantwortung für die gemeinsame Sendung und eine spezielle Dienstfunktion übernehmen sollten. Daraus entwickelte sich nach und nach eine Vielzahl spezieller Ämter und Dienste in der frühchristlichen Gemeinde. Einige waren nach außen gerichtet und schlossen bewußt den Kontakt mit den Juden und Heiden ein, die Christus nicht kannten. Andere richteten sich auf die Gemeinde seibst und ihre Anliegen. Sie umfaßten alle möglichen Dienstleistungen der Verwaltung, der Koordinierung und Organisation der Gemeinde selbst und Spannten sich vom Vorsitz bei der eucharistischen Feier bis zur Verwaltung des Besitzes und Geldes der Gemeinde.
Aus einer unbewußten Verschmelzung verschiedener Rollen und Funktionen: des alttestamentlichen Opferpriesters, des Verkündigers des göttlichen Willens an die Menschen, des Jüngers Jesu, des apostolischen Dienstes, des Presbyter-Episkopen, des Vorsitzenden bei der eucharistischen Feier — entwickelte sich nach und nach die uns bekannte und gewohnte Gestalt des <<Priesters>. Ursprünglich war er nach Belieben verheiratet oder unverheiratet, und er waltete seines Priesteramtes auf Zeit oder für dauernd. Doch binnen kurzer Zeit, als feste christliche Gemeinden allenthalben aufblühten, ergab sich das Bedürfnis nach ständigen vollberuflich tätigen Personen mit öffentlicher Verantwortlichkeit. Bald wurden die <<Priester>> und sonstigen Amtstrger — verheiratete wie unverheiratete — eine Art Klasse innerhalb der Kirche.
Mit der Etablierung des Christentums als staatlich anerkannte, ja als Staatsreligion im 4.Jahrhundert bekamen die christlichen Gemeinden einen gesetzlichen Status, nahmen an Zahl beträchtlich zu und bildeten eine sichtbare Präsenz innerhalb der umfassenderen Gesellschaft. Ihre amtlichen Funktionäre und Leiter erhielten einen gewissen bürgerlichen Status und eine gewisse bürgerliche Autorität. In einer Welt, deren Tradition bürgerliche und sakrale Autorität identifizierte, wurden Priester und sonstige Amtsträger öffentliche Funktionäre in einer neuen christlichen Gesellschaft. Als Reichtum und Einfluß der Kirche sich entwickelten, zeichneten sich die nach innen orientierten Dimensionen des kirchlichen Amtes mit zunehmender Bedeutung immer klarer ab. Parallel dazu wurden mit zunehmender Verchristlichung der Gesellschaft als ganzer die spezifischen Unterscheidungsmerkmale der bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft immer stärker miteinander verschmolzen, und die nach außen gerichteten Funktionen des kirchlichen Amtes wurden immer seltener. Das Ergebnis dieser Änderungen war eine schrittweise Bürokratisierung der Amtsträger-<<Klasse>>. Sie wurde zu einer Art kirchlicher Beamtenschaft, au einer Körperschaft von Kirchenmännern, wie sie uns unter der Bezeichnung <<Klerus>> bekannt ist.
Eine kaum vermeidliche Begleiterscheinung dieser Entwicklung bestand darin, daß die Rolle des Priesters nach und nach in der des Priester-Klerikers unterging; die Erfordernisse, die mit dem Mann-der-Kirche-Sein verbunden waren, belasteten die ursprüngliche Berufung, Mann Gottes zu sein. Natürlich ist die Kirche die Versammlung der Diener Gottes; aber ebenso natürlich bedarf die Kirche selbst ebenfalls mancher Dienste. Sei es aufgrund einer Vermischung von Gottesreich und Kirche, des Werkzeuges zu seiner Verbreitung, sei es aufgrund eines Verfalles der klassischen Gesellschaft und einer Schichtung der Rollen während der dunklen Jahrhunderte — die Idee des klerikalen Priesters wurde vertraut und bequem, und sog immer mehr die Verantwortungsbereiche in sich auf, die ursprünglich Vorrecht jedes Christen waren.
Ungeachtet dieser Institutionalisierung der Priesterrolie wurden die Funktionen des Amtes niemais als von der Person des Amtsinhabers getrennt verstanden. Man verlangte von dem Priester eine gewisse Qualität der Lebensführung und einen gewissen Grad von moralischer Heiligkeit, die der Würde und Weihe seiner Berufung und seiner Funktionen angemessen war. Wenn er die Mehrzahl christlicher Verantwortlichkeiten in einer hervorragenden Weise auf sein Amt und seine Person vereinigte, dann sollte er auch in einer hervorragenden Weise Jünger Christi sein. Vor allem aber sollte er ehelos sein.
Das Ideal der Ehelosigkeit für den Priester hat verschiedene Wurzeln. Jesus, der einzige Priester des Neuen Bundes, hat nie geheiratet. Ferner hatte der Herr selbst die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen angeraten, und das Beispiel mancher anderer religiöser Gemeinschaften zeigte eine Beständigkeit dieses Ideals. Neben sekundären Erwägungen sozio-politischer oder ökonomischer Art bestand der Haupteinfluß, der zu dieser Entwicklung maßgeblich beitrug, in dem Ideal, das sich in der alttestamentlichen Idee der rituellen priesterlichen Reinheit ausdrückte. Ihr geistiger Hintergrund besaß gewisse Zusammenhänge mit den seltsamen und verzerrten Vorstellungen von Sexualität und Sexualmoral, wie sie sich im Westen herausentwickelt hatten. Zölibatäres Leben wurde zuerst und zunächst und vor allem als Enthaltsamkeit angesehen, und Enthaltsamkeit verstand man als Verzicht auf ein als unausweichlich erachtetes verunreinigendes und zutiefst weltliches Verlangen und Verhalten. Der jüdische Priester, der heidnische Priester und in hervorragender Weise der christliche Priester sollten und mußten Männer Gottes sein, Ausgesonderte, reine Männer; folglich hatten sie sich sexueller Handlungen und Haltungen zu enthalten.
Ein anderer Einflußstrom war die Entwicklung von Priestern der religiösen Orden. Klöster hatten ihre Priester, waren sie doch auch christliche Gemeinden. Mit der Zeit wurden, mit wachsender Hochschätzung derer, die die Eucharistie vollzogen und die Sakramente verwalteten, immer mehr Mönche Priester. So entwickelte sich ein neuer Typ von Priestern, der dem Jünger und Apostel und damit den Wurzeln des Priestertums näher stand und zutiefst einem anderen Ehelosigkeitsideal verbunden war als dem, das sich aus einer Vielzahl verschiedener Motive und Situationen eutwickelt hatte: der Typ des Mönch-Priesters.
Der Priester im Mönchsstand war paradoxerweise im Grunde ein Laie. Das heißt: Sein Mönchtum beruhte auf der gemeinchristlichen Berufung der Jüngerschaft und Nachfolge; er war nicht amtlich bestellter Leiter und beamteter Funktionär der kirchlichen Gemeinschaft. Als jedoch die Klöster als Körperschaften zu den Hauptinstitutionen der Kirche wurden, als die Rolle des Dienstes der Mönche an der Gesellschaft draußen zur Blüte kam und als zugleich damit die Qualität der dem (Welt)klerus angehörenden Priester sank, glitten die Mönch-Priester nach und nach in neue Rollen und entwickelten ein neues Bewußtsein. Und bald schon bekamen sie auch den Charakter amtlicher Repräsentanten der Kirche. Zugleich damit wurden — zunächst unmerklich — die Ideale des Mönch-Priesters auf den Priester aus dem Weltklerus projiziert. Er mußte nlcht mehr allein enthaltsam leben, man erwartete von ihm auch, daß er das Ideal der religiösen Gottübereignung annahm.
Aus all dem ergab sich als beherrschende Form ein komplexerer Priestertyp: der des apostolisch-klerikal-zölibatären Priesters, der auch für uns heute noch der grundlegende geblieben ist. In den folgenden Jahrhunderten nahm auch die Idee des Religiosenlebens mehr apostolische und aktive Dimensionen an. Zugleich wurden Gemeinschaftsleben, die Praxis der religiösen Gemeinschaft im Seminar, zu Idealen auch für den Weltpriester. So ist das uns überkommene Erbe heute eine Mischung verschiedener Stilformen, Zielsetzungen und Institutionen mit ihren notwendigen Vermischungen, Spannungen und Widersprüchlichkeiten. Die kirchenrechtlichen Unterscheidungen zwischen Welt- und Ordensklerus und die Definition des Religiosenstandes bieten wenig Hilfe für eine Beilegung des Streites.
Heute wird der Zölibat des katholischen Priesters weithin in Frage gestellt. Doch nur zu oft werden die Fragen in einer semantisch gesehen sinnlosen Formulierung gestellt. So ist die Frage, ob der <<Priester>> zölibatär leben soll, in sich widersprüchlich, denn der Zölibat ist ein Teil unseres Priesterbegriffes. Dagegen müßte die Frage lauten, ob die Verschmelzung verschiedener Institutionen über die Jahrhunderte hin — Institutionen, von denen jede einzelne wiederum komplex und hoch entwickelt ist —: Dienstamt, Priestertum, Klerus und Ordensleben, wie sie uns in dér gegenwärtigen kanonischen Institution des klerikalen, zölibatären Amtsträgers entgegentritt, notwendig oder notwendig kiug ist.
Die Verpflichtung zum Verzicht auf die Ehe um des Gottesreiches willen in der Dimension des Dienstes und des Zeugnisses ist ein großes und kostbares Geschenk für die gesamte Gemeinschaft der Kirche. Vom Geist getriebene Menschen, denen dieses Charisma zuteil geworden ist, können sehr wohl ausgewählt werden, um den Vorsitz bei der eucharistischen Feier zu führen und sonstige sakramentale oder lehramtliche Dienste zu leisten. Aber das institutionalisierte Charisma des vom Evangelium geratenen Eheverzichtes wird heute deutlicher als das Unterscheidungsmerkmal des Religiosenlebens und nicht des Priestertums als solchen erkannt. Die historisch mit dem Priestertum in Verbindung gebrachte Idee der Ehelosigkeit kam mehr aus dem Ideal der kultischen Reinheit. In unserer heutigen nach-freudschen Welt hat eine solche Idee viel von ihrem Sinn eingebüßt.
Auf dem Weg zur Erfüllung seiner persönlichen Berufung gelobt der künftige Ordenspriester zuerst die Befolgung der evangelischen Räte und empfängt erst danach die offizielle Amtsbestellung durch die Kirche. Der Weltpriester empfängt seltsamerweise zunächst die Tonsur und wird in den Klerikerstand aufgenommen. Erst wenn er danach mehrere untergeordnete Dienstämter versehen hat, verlangt man von ihm, daß er sich zum Zölibat verpflichtet als Vorbedingung für seine Ordination zum Dienst in einer bestimmten Diözese. Die von ihm geforderte Verpflichtung zum Zölibat ist tatsächlich bestimmende Bedingung für einen definitiven und bleibenden Eintritt in den Klerikerstand, und zwar mehr um des Dienstes für die Kirche als um des Reiches Gottes willen.
Zu den Reichtümern der frühen Kirche gehörte die Vielzahl von Ämtern und Geistesgaben, die allenthalben innerhalb der christlichen Gemeinschaft verbreitet waren. Die zunehmende Konzentration christlicher Verantwortung in den Händen des Klerus, wie wir sie über Jahrhunderte hin erlebt haben, führte notwendig zu einer Einschränkung der Entwicklung des Apostolates und zu einem verzerrten und verstümmelten Stil christlichen Laientums. Einer der Aspekte der Erneuerung der Kirche in diesem Jahrhundert war die Wiederentdeckung des Einbezogenseins jedes ihrer Glieder in die eine gemeinsame Sendung. Das zunehmende Bewußtwerden des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen nötigt den ordinierten Priester immer mehr, nach dem Sinn seines besonderen Amtes im Dienste der vielen kirchlichen Institutionen zu fragen, denen er als Führungsmitglied zugeteilt werden kann.
Es besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen der Einsetzung eines speziellen Amtsdienstes durch den Herrn selbst, in Gestalt der Apostel, und der späteren viel weiterreichenden Entwicklung des Klerus. Heidnische Auffassungen vorn Sakralcharakter sacerdotaler Persönlichkeiten und der Autorität von Priestern in der Gesellschaft haben die Entwicklung der Amtsstrukturen in der Kirche stark beeinflußt. Vielleicht besteht die wirkliche Aufgabe heute nicht so sehr darin, die Beziehungen zwischen Amt und Zölibat zu klären, sondern vielmehr darin, beide Institutionen von Verengungen zu befreien, die sie durch die Koppelung mit dem Klerikerstand erfahren haben. Worum es geht, ist ein Abbau des Establishments der Kirche als Religion und ein Re-Establishment ihres eigentlichen Wesens und ihrer Sendung als geordnete Bewegung und revolutionäres Ferment innerhalb der umfassenderen menschlichen Gesellschaft als ganzer.
Es besteht notwendig eine Spannung in der Kirche zwischen den Forderungen des Geistes und der Erhaltung und Führung der menschlichen und institutionellen Formen, in denen die Kirche in jedem Augenblick der Geschichte existiert. Zweifellos existiert diese Spannung auch im Leben des Priesters. Vom Augenblick seiner ersten Hinneigung zum Priestertum an, muß er die Forderungen von seiten der Kirche und die Anregungen des Geistes gegeneinander abwägen; diese Dynamik muß durch sein gesamtes Leben hindurch unvermeidlich weiterbestehen. Die ständige Herausforderung an die Gesamtkirche, an die Priesterschaft und an den Einzelpriester besteht in der Erhaltung eines richtigen Gleichgewichtes. Es muß ein Ideal des Priesters als Mensch entwickelt werden, der zuerst und zunächst dem Geist verantwortlich ist und in Freiheit seine Erfüllung in liebendem Dienst sucht. Das schließt ein, daß den Priestern schrittweise die Möglichkeit gegeben wird — nicht allein die Art des Dienstes zu leisten, die sie je am besten leisten können, sondern auch die Lebensform — im Ehestand oder in der Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen — zu wählen, die ihrer Persönlichkeit, ihren Bedürfnissen und ihrer Berufung am besten entspricht.
(Übersetzung aus dem Englischen von Karlhermann Bergner)